Der erste Anblick des Polarlichts war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben, den ich wohl nie vergessen werde. Mit Marc (wie ich Hobbyfotograf, Bergsteiger und -damals- Auroranovize) bin ich für dieses Erlebnis nach Island geflogen, mitten in den „Aurora Belt“, wo die Wahrscheinlichkeit für eine Sichtung innerhalb einer Woche bei nahezu 100% liegt. Wir schleppen nicht nur die normale Ausrüstung, sondern viele Fotosachen mit, was uns hart ans Gewichtslimit der Airline bringt. Fotografen ist man hier gewöhnt, denn einige machen sich nun auf den Weg: Die in der dunkleren Jahreshälfte flach stehende Sonne taucht die einmalig schöne Landschaft nun besonders lange in ein goldenes Licht. Und die tiefschwarzen Nächte gelten der Aurorajagd. Wir bewegen uns vom Flughafen bei Keflavik aus auf der Ringstraße. Mehr Offroad trauen wir uns im Winter nicht, denn Island stellt sich uns gleich nach der Landung persönlich vor: Eine Viertelstunde im Schneegestöber folgt übergangslos auf eine Viertelstunde schönsten Sonnenschein. Kurz danach regnet es in Strömen, dann wieder Sonne und peitschender Wind, der bald darauf starken Hagel mit sich bringt. „If you don’t like the weather in Iceland, just wait 5 minutes“ steht auf den überall feilgebotenen T-Shirts. Stimmt.
Unterwegs bieten sich unerwartete Kontraste zwischen endlosen Lavafeldern und Sandern, Gletscherabbrüchen und deren Lagunen, bizarren Felsformationen und vieles mehr. Das alles vermittelt uns den meditativen, rauen Charakter Islands, der nur schwer in Worte zu fassen ist. Zeit ist ein wertvolles Gut, hier wird uns das umso mehr bewusst. Geologische Zeiträume bemessen sich in Jahrtausenden und Jahrmillionen, und so wirkt auch Island wie für die Ewigkeit gemacht. Dennoch verändert der Vulkanismus hier manchmal die Landschaft rapide und überbrückt damit Raum und Zeit auf eine Art, wie man es nur an sehr wenigen Orten auf der Erde erfahren kann.
Das Abendessen genießen wir früh in einem Restaurant mit WLAN, während wir mit steigender Anspannung die Sichtungswahrscheinlichkeit im Internet recherchieren. Der isländische Wetterdienst vedur.is bietet nicht nur präzise Vorhersagen, sondern auch Wolkenbedeckungskarten. Anfangs erscheint uns das nebensächlich, doch bei dem rasend schnell wechselnden Wetter erfahren wir bald leidvoll, dass diese noch wichtiger sind. Denn Polarlichter gibt es zu dieser Jahreszeit fast jede Nacht. Nur sehen muss man sie können.
Bis Stufe 2 (von 10) bezeichnet der Dienst die Aktivität als niedrig (low). Doch davon sollte man sich nicht beirren lassen, denn bereits diese kann wunderschön sein. Wenn man auch Landschaft/Vordergrundobjekte mitfotografieren möchte ist eine schwächere Aurora sogar von Vorteil. Ein Stativ ist hierfür neben weiterer Ausrüstung essentiell. Ab etwa Stufe 3 (moderate) wird es dann richtig beeindruckend. Wir lernen bald, dass für uns jede Nacht und Stufe etwas zu bieten hat. Schlaf ade!
Rahmenbedingungen für perfekte Polarlichtfotos:
- Auswahl einer passenden Lokation. Am besten man scoutet am Tag mehrere Orte aus, mit verschiedenen Expositionen und für verschiedene Himmelsrichtungen und Wetterlagen.
- Die Wahrscheinlichtkeit für (starke) Polarlichtaktivität ist höher bei hoher Sonnenaktivität und vor allem bei einer CME. Jedoch stand ich auch schon nach einer CME im Dunkeln, während bei niedriger Aktivität wunderschöne Polarlichter zu sehen waren. Und schlechtes Wetter kann sich schnell ändern. Also grundsätzlich gilt: Immer raus!
- Man verfolgt am Tag/Abend davor nun die Wettervorhersage (Wolken!) sowie die Polarlichtaktivität. Hier bietet sich neben der bekannten Seite vedur.is , Spaceweather sowie dem NOAA vor allem auch das Magnetic Observatory und die zusammenfassende Privatseite Agust.net an.
Nach Einbruch der Nacht verlassen wir unsere Unterkunft und stellen uns kurz nach dem Ortsrand auf. Dunkelgraue Schleier halten wir für Wolken und die Enttäuschung ist mindestens so groß wie die Hoffnung. Doch dass diese vermeintlichen Wolken uns in wenigen Minuten unglaubliche Erlebnisse bescheren werden ahnen wir noch nicht. Erst als wir ein Testbild mit der Kamera machen hört es sich einige Minuten lang so an, als ob ein ganzer Kindergarten Weihnachten feiert. „Wooow“ – „Unglaublich“ – „Yipee“ … Das reine Glücksgefühl durchströmt uns, und wir sind voll und ganz im Moment. Eine schwache Aurora sieht eben aus wie Wolken, und erst die Langzeitbelichtung macht sie sichtbar in ihrer ganzen Pracht.
Eine gute Dunkeladaption des Auges dauert etwa eine halbe Stunde, kann aber durch helles Licht in Sekunden wieder zerstört sein. Frust also bei jedem vorbeifahrenden Auto. Wir wählen auch aufgrund der Kulisse unsere Standorte tagsüber aus, nur um nachts alle unsere Pläne über Bord zu werfen, denn das Wetter muss mitspielen und ist äußerst wechselhaft. In den Folgenächten machen wir daher oft Jagd auf Wolkenlöcher. Langweilig wird uns nie, nur hundemüde sind wir, denn tagsüber gibt es auch sehr viel Beeindruckendes zu entdecken. Hier findet praktisch jeder Naturfotograf die absolute Erfüllung, egal ob Fauna, Flora oder Landschaft.
Am letzten Abend kündigt sich eine Aurora höherer Stufe an. Voller Vorfreude gestehen wir uns ein: Müssen wir sehen! Und schlafen können wir ja noch im Flugzeug. Als wir enttäuscht unseren Mietwagen nach einer bewölkten, ersten Nachthälfte noch kurz vor Schließung wollen, ergießt sich über uns innerhalb von Sekunden eine unglaubliche Farbenpracht, und einmal mehr werden wir zu staunenden Kindern, die mit Begeisterung das Wunder der Natur erblicken. Zum letzten Mal kramen wir unsere Fotoausrüstung raus und bauen auf. Die freundliche Mitarbeiterin der lokalen Mietwagenfirma folgt unseren Blicken: „Ah, of course, the Aurora!“ und der Anblick zaubert auch nach Mitternacht ein wissendes Lächeln auf ihr Gesicht. Ob es die Aurora oder die naive Unschuld des Moments war darf gerne ihr Geheimnis bleiben. Island, wir haben unsere Herzen an Dich verloren. Und wir kommen wieder …!